Gesellschaftsspiele halten offensichtlich fit. Das weiß wohl keiner besser als Erwin Glonnegger. Wie kaum ein Zweiter brachte der Mann, der über 20 Jahre für das Spieleprogramm bei Ravensburger verantwortlich war, das Gesellschaftsspiel in deutsche Wohnzimmer und warb ein Leben lang für die deutsche Spielekultur, die er engagiert prägte. Am 19. Mai feiert der Spielepapst, wie ihn seine Fans respektvoll nennen, seinen 90. Geburtstag.
„Spielen Sie eigentlich noch?“ Glonnegger antwortet prompt: „Natürlich! Jeden Dienstag und Samstag, am Nachmittag mit einem kleinen Spielerkreis hier aus der Stadt.“ Seit vielen Jahren lädt er regelmäßig zu seinen Spielerunden ein und stellt Teilnehmern auch gerne neue Spiele vor, um deren Spielhorizont zu erweitern. Noch heute führt er diese Tradition im Gemeinschaftsraum des Seniorenstifts fort, in das er letztes Jahr umzog. Dass ihn das Gesellschaftsspiel mit seinen Winkelzügen, Wendungen, dem Planen der nächsten Schritte und sich Hineinversetzen in Mitspieler auch mit 90 rüstig gehalten hat, steht für ihn außer Frage. Dann zitiert er sich augenzwinkernd selbst: „Viel schöner noch als Sexappeal ist ein Ravensburger Spiel.“
Der richtige Riecher für Erfolgsspiele von memory bis Malefiz
Gesellschaftsspiele sind für Glonnegger, der als Spiele-Experte unter dem Wikipedia-Eintrag „Gesellschaftsspiele“ ganz oben rangiert, nicht nur eine alte Liebe, sondern auch eine Berufung:
1949 zog Glonnegger in seinem Lebenslauf eine Ereigniskarte: Er heuerte als ausgebildeter Buchhändler beim Otto Maier Verlag in Ravensburg an und widmete sich zunächst dem Vertrieb von Fachbüchern. Doch bald zeichnet sich Glonneggers besonderes Gespür für neue Themen, Produkte und Märkte auch bei Gesellschaftsspielen ab. Damit machte er Karriere und zog Anfang der 60er Jahre eine weitere Ereigniskarte: Ravensburger übertrug ihm die Leitung über das gesamte Programm des Spieleverlags.
Damals boomte das Gesellschaftsspiel in Deutschland und stieg während Glonneggers Tätigkeit von einer Randerscheinung zu einem in allen Schichten akzeptierten Freizeitvergnügen auf. Dafür hatte er unermüdlich getrommelt, außerdem besaß er einen untrüglichen Riecher für erfolgversprechende Spieleideen: Wenn Familien mit „memory“, „Malefiz“, „Deutschlandreise“ oder anderen Klassikern damals wie heute ihren Spaß haben, dann ist das ein wesentliches Verdienst von Erwin Glonnegger. Auch Ravensburger Longseller wie „4 erste Spiele“, das erste Spiel des Jahres „Hase und Igel“, „Öl für uns alle“, die Erwachsenenspiele „Casino-Serie“, das „Börsenspiel“ und viele mehr verantwortete er oder entwickelte er mit.
Spielbegeisterung ging bei Glonnegger weit über den Beruf hinaus: Er war – neben einem Team von Redakteuren – Programm-Macher, Spieleerfinder, Spielelobbyist und Erforscher der Spielekultur in einer Person. Und er hatte eine Mission: Die Anerkennung des Gesellschaftsspiels als Kulturgut. Er schrieb über das Spielen, war Gastautor in Zeitungen und Zeitschriften und erhielt für sein Engagement 1986 das Bundesverdienstkreuz. Wundert es, wenn er in der Spieleszene als „Botschafter des Gesellschaftsspiels“ bezeichnet wurde?
1985 beendete Erwin Glonnegger nach 36 Jahren seine Laufbahn bei Ravensburger, aber nicht seinen Einsatz für das Gesellschaftsspiel: 1988 erschien sein Lebenswerk „Das Spielebuch“ – ein Standardwerk in der Spielebranche. Es folgten zahlreiche Veröffentlichungen, Ausstellungen, Vorträge und Auszeichnungen. Vor zwei Jahren erst wurde er mit dem „Dau Barcelona Award“ geehrt. Neues Spiel – neues Glück! Das wünschen ihm Ravensburger, viele Spielefans und SPIELZEUGinternational zu seinem Geburtstag.